Wir bleiben hier!

Türkiye - europäisch und asiatisch in einem, wenn auch in einem stark ungleichen Verhältnis ;-)

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Yade2011
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Beitrag: # 48265Beitrag Yade2011 »

Hallo alls zusammen,

vor einigen Monaten habe ich angefangen Informationen zu sammeln, was das auswandern in die Türkei angeht. Viele Forumsteilnehmer melden sich nie wieder um mitzuteilen, was sie denn nun getan oder gelassen haben. Ich möchte auch mit euch teilen, was die letzten Monate so passiert ist und warum wir uns gegen das Auswandern entschieden haben. Vielleicht erhält der ein oder andere eine Anregung was er vielleicht noch bedenken sollte oder vielleicht übersehen hat.

Wir sind Ende September in die Türkei geflogen.

In Deutschland hatte ich vorab schon ein Gespräch mit einem Arbeitgeber in Izmir. Telefonisch hatten wir schon grob Details besprochen, u. a. meine Gehaltsvorstellung, die er auch akzeptierte. In dem persönlichen Gespräch ging es dann los, dass er das Gehalt in der Höhe doch nicht zahlen könnte. Auch einige andere Dinge die er vorab akzeptierte konnte er doch nicht einhalten. Somit hatte sich die Arbeitsstelle für mich erledigt. So zog es sich dann wie ein roter Faden durch fast alle Gespräche die ich hatte.

Mein Mann ist Kfz-Lackiermeister. Handwerkliche Arbeiten werden in der Türkei auch nicht so gut bezahlt wie wir es gerne hätten. Bei einer 45 Stunden Woche war das ihm am meisten gebotene Gehalt 1500tl.

Für meinen Mann würde sich finanziell lediglich die Selbstständigkeit in der Türkei lohnen. Jedoch müssten wir eine große Summe investieren, die ich jetzt einfach nicht aufbringen kann. (Izmir ist ein teures Pflaster)

Das die Schulen kostenpflichtig sind, wussten wir ja vorher. Die Klassen sind aber so überfüllt, dass die Kinder im Schichtdienst zur Schule gehen. Vormittags- und Nachmittagsdienst. Die Kinder Nachmittags kommen so gegen 18-19 Uhr aus der Schule. Ach ja, das Einschulalter wurde auf 66 Monate runtergestuft. Würde auf mein Kind nicht zutreffen, aber trotzdem mal zur Info.

Um an einer Uni studieren zu können, reicht das Abitur nicht aus. Man nimmt an Prüfungen teil, auf die man in eigens dafür geschaffenen Einrichtungen (nennt sich Dershane) vorbereitet wird. Also Prüfungsvorbereitungsunterricht, der je nach dem ausgewählten Träger jährlich ab 1500 tl losgeht. Und je nach erreichtem Punktestand werden einem Studienrichtungen zugeteilt, die man dann wohlmöglich auch nicht in der eigenen Stadt studieren kann. Je höher der Punktestandt, desto höherwertigere Studienfächer kann man wählen. Bei den jungen Leuten in der Türkei dreht sich alles nur ums lernen und um die UNi, die Freizeit in der Zeit ist erstmal zweitrangig. Das fand ich auch ziemlich stressig.

Was das Eigentum angeht. Auch in der Türkei muss man ein "Hausgeld" zahlen. Ständig kommen irgendwelche Kosten auf einen zu. z.B. Wartung des Fahrstuhls, Streichung des Hausflur, Verlegung von Rohren damit man Erdgas bekommt um fliessend Warmwasser zu haben, bis spätestens 2017 muss man sein Gebäude Wärmedämmen- Kaum ein Gebäude hat Wärmedämmung. Steuern und Versicherungen nicht zu vergessen..

Fahrzeuge sind in der TR sowohl in der Anschaffung als auch im Unterhalt ziemlich teuer (je nach Hersteller und Modell, aber die Dt. Marken sind richtig teuer).Die Kfz-Steuer ist schon heftig.

Wir haben entschieden, dass für uns zu viele Faktoren gegen ein Leben in der Türkei sprechen. Dafür würden wir hier zu viel aufgeben müssen. Wir fliegen lieber mehrmals im Jahr in den Urlaub in die Türkei und geniessen die schönen Dinge des Landes.

Ich wünsche auf jeden Fall all denen die Auswandern wollen viel Glück und hoffe, dass ihr euren Traum realisieren könnt.
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henry
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Beitrag: # 48266Beitrag henry »

Yade2011 hat geschrieben: vor einigen Monaten habe ich angefangen Informationen zu sammeln, was das auswandern in die Türkei angeht. Viele Forumsteilnehmer melden sich nie wieder um mitzuteilen, was sie denn nun getan oder gelassen haben. Ich möchte auch mit euch teilen, was die letzten Monate so passiert ist und warum wir uns gegen das Auswandern entschieden haben.
@Yade, danke fuer den informativen Bericht.

Fast kann man ja annehmen, dass sich eben viele in die Tuerkei Ausgewanderte deshalb nicht wieder melden, weil es ihnen da unten nicht gut geht bzw. jedenfalls nicht so gut geht, wie sie sich das erhofft hatten.
Gruesse Henry
Oryx
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Beitrag: # 48277Beitrag Oryx »

Ja, das ist anzunehmen. Es ist interessant, mal zu hören, was alles gegen eine Auswanderung spricht. Viele machen sich da doch sehr große Illusionen. Wenn man all die Nachteile sieht, erscheint einem Deutschland dann doch wieder attraktiver. :wink: Was Du aus der Türkei berichtest, trifft auch für viele andere Länder zu: Jobs gibt es nicht oder werden sehr schlecht bezahlt, viel Arbeit für wenig Geld. Selbständigkeit ist oftmals eine Alternative, aber das muss man erst einmal finanzieren können, und außerdem muss man dann mit den Gegebenheiten im Land auch klarkommen. Denn wenn man selbständig ist, hat man eventuell Angestellte, die nicht dieselbe Arbeitsmoral haben wie man selbst oder wie man das aus Deutschland gewöhnt ist ... hohe Abgaben, zusätzliche Aufwendungen, die man privat tragen muss, während das in Deutschland kostenlos ist (Schule zum Beispiel) und so weiter, und so fort. Man macht sich oft keine Vorstellung. Gut, dass Ihr Euch da nicht so blauäugig reingestürzt habt, sondern alles vorsichtig erforscht habt, um dann Eure Entscheidung zu treffen. Das erspart viele Enttäuschungen. Und ich bin überzeugt davon, dass die Türkei, um dort Urlaub zu machen, ein ganz tolles Land ist, davon hat man dann wirklich etwas.
Yade2011
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Beitrag: # 48278Beitrag Yade2011 »

@henry: gern geschehen :-)

@Oryx: ich wollte halt auch einfach darauf aufmerksam machen, dass es für uns schon nicht so einfach war, obwohl wir eine eigene abbezahlte Wohnung haben, einiges an erspartes und sogar der Sprache fließend mächtig sind. Viele die das auswandern planen, haben nicht einmal diese Basis.

Was man in der Türkei auch bedenken muss ist, dass das Land eine sehr junge Bevölkerung hat. Mein Mann zählte mit seinen 36 Jahren schon zum "älteren Eisen". Auch in dem Alter ist es schon schwer eine gute Anstellung zu finden.

Ich hatte ein tolles Stellenangebot bei einem Mercedes Benz Autohaus gefunden, allerdings wollte man dort eine Mitarbeiterin die nicht älter als 25 ist. Da brauch ich mit 30 garnicht erst antanzen. Lediglich in den Call Center Betrieben gab es kaum eine Altersgrenze.

Ich denke wenn ich diese Basis vor 5 Jahren gehabt hätte und kein Kind hätte, hätte ich den Schritt trotzdem gewagt. Aber mit Kind überlegt man sich eben wirklich alles zweimal :-)
Oryx
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Beitrag: # 48284Beitrag Oryx »

Schon witzig. Wenn ich höre: 25, denke ich, so jemand würde ich nicht unbedingt einstellen wollen, die hat doch gar keine Erfahrung, gerade erst die Ausbildung abgeschlossen oder so etwas. Obwohl das so natürlich auch nicht immer stimmt, aber für einen Vertrauensposten stellt man sich doch oft jemand Älteren vor. Aber auch, wenn es viele junge Leute in der Türkei gibt, muss es ja auch ältere geben, deren Eltern und Großeltern. Arbeiten die denn alle nicht? Werden die älteren Leute alle von den jungen Leuten mitversorgt? Hier bei uns ist es eher umgekehrt: die alten Leuten versorgen mit ihrer Rente die jungen, die keine Arbeit haben, deshalb frage ich da so neugierig. Ich kenne die Türkei überhaupt nicht und wusste nicht, dass es da diese Alters"probleme" gibt. Ist wirklich sehr interessant, so etwas mal zu erfahren.
Yade2011
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Beitrag: # 48286Beitrag Yade2011 »

in der Türkei sagt das Alter nicht unbedingt etwas über den Ausbildungsstand aus.

Früher hatte man 4 Jahre Grundschule und 4 Jahre Mittelstufe. Das heißt wenn man mit 6 eingeschult wurde, konnte man mit 14 bereits seine Ausbildung beginnen.

Mein Mann z. B. hat mit 13,5 seine Ausbildung angefangen. Mit 17 war er fertig und hat dann mit 20 schon seinen Meistertitel in der Kfz-Lackierung erworben. Zudem gibt es in der Türkei sehr sehr junge "Rentner". Bis vor kurzem war das noch so, dass Frauen nach 20 und Männer nach 25 Beitragspflichtigen Jahren in Rente gehen konnten. Der Zwillingsbruder von meinem Mann kann im Mai 2013 in Rente gehen, er ist 38!!

Allerdings hat sich das (im meine Anfang 2012) geändert. Frauen gehen mit 55 und Männer mit 60 oder 65 (weiß ich jetzt nicht mehr so genau) in Rente, auch wenn Sie ihre Beitragszeiten voll erfüllt haben.

Die Leute die schon in jungen Jahren in Rente gegangen sind, arbeiten meistens auf sozialversicherungsfreien Posten. Das kostet den AG weniger Geld und der Arbeitnehmer kann etwas mehr Lohn verlangen. Er hat dann eine Rente und sein Einkommen aus dem was er nebenbei verdient.

Die Türken arbeiten am meisten darauf, ihre eigenen 4 Wände zu haben. Fast jeder kauft sich dort seine Wohnung gegen bares. Immobilienfinanzierung wie in Deutschland z. B. für 30 Jahre oder so gibt es dort garnicht so richtig. Das höchste der Gefühle ist eine Finanzierung auf 10 Jahre.

Aber um dann auch mal deine Frage zu beantworten :-), die älteren Finazieren die jungen Leute und umgekehrt. Je nach dem wer der hilfebedürftige ist. Das ist in der Türkei irgendwie selbstverständlich!
Yade2011
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Beitrag: # 48287Beitrag Yade2011 »

Tschuldigung es waren 5 Jahre Mittelstufe. Aber mein mann wurde mit 5 eingeschult.. er hat mich gerade korrigiert :-)
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Siggi!
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Beitrag: # 48295Beitrag Siggi! »

Was mich in der Türkei schockiert hat, waren die hohen Steuern schon bei relativ niedrigem Einkommen. Nichts für Leute, die ihr Geld ortsunabhängig verdienen. 35% ab ca. 20000 Euro Jahreseinkommen. Da kommt man ja vom Regen in die Traufe. Somit war die Türkei bei uns immer nur als Wohnsitz mit dem Status "Tourist" in der Diskussion.

Gruß
Siggi
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Beitrag: # 48341Beitrag Yade2011 »

Huhu,

Siggi, was meinst du denn, warum dich die kleinen Händler immer fragen, ob du eine Rechnung für das gekaufte haben möchtest.. Ohne Rechnung wirds ja dann auch immer gleich günstiger!

Die wissen sich dort auch nicht mehr anders zu helfen um nicht all zu viele Steuern zu zahlen! Verständlicherweise!!!
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Siggi!
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Beitrag: # 48343Beitrag Siggi! »

Hallo,

ja, der kleine Händler oder Handwerker, der kann sich so noch behelfen. Aber wenn Du ein Geschäft hast, was nur an Geschäftskunden verkauft, wird es schwierig. Da geht dann gar nichts schwarz. Da kann man dann die ganze Firma nur im Ausland belassen, dort Steuern zahlen und hoffen, dass die Türkei nie von der Auslandsfirma erfährt. Auf Dauer wäre mir so ein Konstrukt zu heiß.

Gruß
Siggi
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Beitrag: # 48346Beitrag Yade2011 »

wäre mir persönlich auch zu heiß..

aber zum Glück muss ich mir über so etwas keine Gedanken machen :-)

Apropros heiß, in der Türkei sinds in unserer Region noch immer 22 grad.. und hier warens heute -1 grad..
Doch ein Grund auszuwandern.. :lol:
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Siggi!
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Beitrag: # 48348Beitrag Siggi! »

Yade2011 hat geschrieben:Doch ein Grund auszuwandern.. :lol:
Das ist definitiv ein Grund auszuwandern. Aber es gibt schon einige Länder mit wärmeren Klima, als DE. Für einige Auswanderer liegt die Türkei natürlich näher, da sie dort familiäre Bindungen haben. Für den Durchschnittsdeutschen ist es eines unter vielen möglichen Ländern.

Gruß
Siggi
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henry
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Beitrag: # 48349Beitrag henry »

Siggi! hat geschrieben:Aber es gibt schon einige Länder mit wärmeren Klima, als DE.
dazu kann ich ein frisches Erlebnis beisteuern:

ich war frueher ja Kubafan. Jedesmal war ich begeistert, wenn ich, aus deutschland kommend, in Havanna durch die Flugzeugtuer trat und mir die dortige Hitze entgegenschlug. Fuer mich war das immer ein tolles Erlebnis.

Nun war ich, seit Jahren mal wieder, diesmal kommend aus Cartagena, in Havanna. Wahrscheinlich war es da heiss wie immer. Aber, was soll ich sagen: Mir war es "zu kalt". in der aus Cartagena gewohnten Kleidung, halblange Naturleinen-Hose, Hindú-Hemd, sandalen, leichte Unterhose, sonst nichts, war es manchmal richtig "kuehl". Und nachts, da musste man sich manchmal das betttuch ueber den Koerper ziehen, so sehr sackte die temperatur ab.

Fazit: man kann sich dran gewoehnen, an die Hitze - und dann ist in einem anderen Land selbst warm schon kuehl
Gruesse Henry
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Siggi!
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Beitrag: # 48355Beitrag Siggi! »

henry hat geschrieben:Fazit: man kann sich dran gewoehnen, an die Hitze
Das kennt sogar jeder von daheim. Ein ordentlicher Sommer, mehrere Wochen bei 30° (wann gab es so etwas zuletzt?) und von einem Tag auf den anderen ein Temperatursturz auf 15°. Es ist saukalt und man fragt sich ernsthaft, wie man dann erst die -15° im Winter überleben soll.

Was für mich immer sehr schwierig und wohl auch keine Frage der Gewöhnung ist: Hohe Luftfeuchtigkeit. Da spielt bei mir der Blutdruck verrückt und die Herzfrequenz steigt so, dass es unangenehm wird. Glücklicherweise gibt es über 90% Luftfeuchtigkeit nur wenige Tage pro Jahr auf der Krim (ich verkrieche mich dann in klimatisierten Gebäuden). Aber das wäre für mich ein Grund gegen Länder wie Malaysia, wo einem als erstes die Brille beschlägt, wenn man den Flieger verlässt.

Gruß
Siggi
helianta
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Beitrag: # 48424Beitrag helianta »

Liebe Yade2011,

Vielen Dank für den Bericht! Find ich toll, dass Du Feedback gibst. Krass, was ihr erlebt habt: ich kann es mir nur vorstellen, in ein Land zu gehen mit einer festen Zusage für eine Arbeitsstelle und dann erkennen zu müssen, dass es nicht hält, und dann in dem Mist zu stehen. OMG.

Ich wundere mich immer, wie das klappt, darüben zu arbeiten, weil doch die Löhne viel niedriger sind, und frage mich, ob die Menschen zaubern können :-D oder wie sie den Sprung geschafft haben - sicher gehört noch eine großé Portion Beziehungen und Glück dazu?

LG, Heli
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