kurtchen hat geschrieben:Nun scheinen die ukrainischen Oligarchen den russischen Separisten den Kampf anzusagen.
Das kann ich gut nachvollziehen. Nachdem die Separatisten mit der Nationalisierung ihrer Werke gedroht haben, versuchen sie nun, dem Vermögensverlust zu entgehen. Aber IMHO wird es gut für die Oligarchen ausgehen, die aktuelle Regierung arbeitet mit ihnen zusammen, setzt sie sogar als Gouverneure ein. Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat ist einer von ihnen, der in schon vielen Regierungen unterschiedlicher Couleur vertreten war und somit für Kontinuität (im schlechten Sinne) steht.
Mir wird Angst und bange wieviele Ukrainer und damit auch Krimtataren von den Russen bedroht werden. Was passiert denn wennz.B Restaurantbesitzer vor der Gewalt der Russen fliehen, die Restaurants verleiben sich dann die ferngesteuerten Staatsterroristen ein ?
Vielleicht kannst Du es mir ja glauben, da ich vor Ort bin: Die Krim hat sich durch die Russen nicht in eine Vorhölle verwandelt! Das Leben geht ganz normal weiter, ich habe (mit Ausnahme der grenznahen Bezirke) noch keinen einzigen Soldaten gesehen, die Sicherheitslage ist normal (was ein großer Vorteil im Vergleich zu den Regionen ist, in denen aktuell der Bürgerkrieg tobt). Wir beschäftigen auch aktuell gemischt tatarisch/russische Gruppen von Handwerkern, die nach wie vor ganz normal zusammen arbeiten.
Was es aber in der Tat gibt, sind Ausschreitung, wenn jemand die "falsche" Sprache spricht oder für die "falsche" Überzeugung aktiv wird. Das geht von zerbrochenen langjährigen Freundschaften über Feindschaften sogar im engsten Familienkreis bis hin zu Drohungen und Diskriminierungen. Der Bürgerkrieg setzt sich auf der Ebene der persönlichen und beruflichen Beziehungen fort - aber nicht nur auf der Krim, sondern überall in der Ukraine. Da ist keine Region oder Partei besser oder schlechter als die andere. Diese Auswüchse sind allesamt zu verurteilen, aber es gibt sie zweifellos.
Hier erkennt man, was Menschen alles anstellen, wenn sie nur genug durch die Medien beider Seiten gegeneinander aufgehetzt wurden: Jemand spricht Russisch in Kiew und verliert deswegen den Job, wird an der Haustür (im Süden der Ukraine) massiv bedroht, wenn er nicht zur Präsidentschaftswahl gehen sollte, wird vom Vater als untoter Russenknecht bezeichnet, weil er bei der russischen Armee dient oder von den Freuden als Verräterin abgestempelt, weil sie beim Referendum "falsch" abgestimmt hatte.
Das sind noch harmlose Beispiele. Die schlimmeren kenne ich glücklicherweise nicht mehr aus dem persönlichen Bekanntenkreis: Es wird ein Brandanschlag auf ein Hotel in den Karpaten verübt, da der Besitzer das "falsche" Parteibuch (im Westen ist es das Parteibuch der Partei der Regionen) hat. Ich glaube, dass solche Dinge nicht wirklich politisch motiviert sind, sondern die aktuelle Situation einfach willkommene Gelegenheiten bietet, einen Konkurrenten zu schädigen oder sogar zu vernichten.
Was ich am aktuellen Bürgerkrieg am schlimmsten empfinde: Die EU tut nichts zur Deeskalation und übernimmt noch niemals humanitäre Verantwortung. Dadurch, dass man bislang die Existenz eines Bürgerkriegs offiziell nicht anerkannt hat, muss man keine Flüchtlinge aufnehmen und so das eigene Budget nicht belasten. So gibt es eben weiterhin Kollateralschäden in der Ukraine. Eigentlich ein Skandal, aber keinen scheint es zu stören, wenn die ukrainische Armee sogar mit Artillerie gegen nicht evakuierte Städte vorgeht. Man verwende nur das Zauberwort "Russische Terroristen" und schon ist jede Aktion gegen die eigene Bevölkerung legitimiert.
Durch die aktuellen "Anti-Terror-Einsätze" (offizielle ukrainische Bezeichnung für das militärische Vorgehen gegen Separatisten) wird so viel Hass geschürt, dass ich befürchte, dass sich obige Ausschreitung im persönlichen und beruflichen Bereich noch lange nach offizieller Beendigung der Feindseligkeiten auf beiden Seiten fortsetzen. Kurz: Das friedliche Zusammenleben ist nachhaltig gestört.
So muss ich live miterleben, wie sich meine Wahlheimat, von der ich einmal geglaubt hatte, sie sei der langweiligste Ort der Welt (im positiven Sinne), als Spielball unterschiedlicher Interessen (Westen versus Russland) in einen Ort verwandelt, den ich Auswanderern nicht mehr empfehlen kann.
Gruß
Siggi
P.S: @Kurtchen Mir haben sie in der Schule auch ein massives russisches Feindbild eingepflanzt (Agitation gab es auch in der BRD, bei uns an der Schule war das eine Aufgabe für den Rektor persönlich). Daher speziell für Dich ein Artikel, in dem die Russen nicht gut wegkommen, aber bemerke bitte auch die Verfehlungen des Westens:
http://ukraine-nachrichten.de/die-putin ... analysen#5
Gruß
Siggi